Über die Autorin
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Eva Scala arbeitete viele Jahre als
Psychotherapeutin und Trainerin, weil Menschen und ihr Zusammenleben
das ist, was sie wirklich interessiert hat. Der Mond konnt ihr
gestohlen bleiben, eine Wüste ohne Oasen fand sie
langweilig, aber in jedem Nomadenzelt wollte sie sich
eine Zeitlang niederlassen und spüren, wie die Bewohner
leben, was sie bewegt, was sie lieben und ablehnen.
Das Schreiben
von Sachbüchern gehörte zu ihrem Beruf
und hat ihr Spaß gemacht. Zu den Geschichten kam sie
erst, als ihre vier Kinder erwachsen waren, denn eine Beschäftigung,
bei der die Phantasie nach Lust und Laune schweifen konnte, war ihr
höchster Luxus.
Ihr erstes Buch für Kinder von 8 bis 80 – „Flieg
Giovanni“ – entstand als Auftragswerk für
einen befreundeten Maler und erschien in der Edition Röschnar.
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Mit großer Betroffenheit müssen wir mitteilen, dass Eva Scala am 17. Februar 2013 verstorben ist. |
Leseprobe |
1 + 1 = 0
Himmelherrgott! Ein gestreifter Koffer
oder ein rot-schwarz getupfter – dann passiert mir
das nicht wieder!
Er setzte sich auf die Bettkante und drückte die Balkontüre
weiter auf. Die Stimmen von der Promenade her wurden lauter.
Seltsam, die deutschen Worte waren schwerer zu verstehen als
die italienischen, die hatten einen klaren, abgegrenzten Klangkörper:
Rufe von Vögeln.
Sein Vortrag, fünf Tage hatte er sich dafür Zeit
genommen, und jetzt saß er blank hier auf dem Matrimoniale
mitten in der Scheiße. Seine Unterlagen lagen irgendwo
zwischen Frankfurt und Venedig in einem Flughafendepot. Sein
Laptop und der Stick – warum hatte er den nicht wenigstens
ins Handgepäck getan!
Und dieser blödsinnige Koffer hier – dieser Zwillingsbruder
seines Koffers, schwarz und durch zwei Außenfächer
geteilt.
Er könnte jetzt in aller Ruhe in Wien seinen Vortrag vorbereiten,
mit Marianne essen gehen, in vertrauten Bahnen kreisen, stattdessen
hatte er sich von Che dieses Retreat aufschwatzen lassen: Retreat – dieses
Zauberwort des Instituts. Che machte es mindestens halbjährlich,
und Robert war auch schon angesteckt. Kein Aufsatz, keine Rohfassung
eines neuen Buchs an seinem Institut ohne Retreat! Che kehrte
jedes Mal vollgesogen mit träumerischer Energie zurück,
hatte ein „gutes Stück weitergebracht“, ein „Pfauenrad
an Ideen“ im Kopf gespeichert.
So hatte er dieses Retreat eingeschoben zwischen der Tagung
in Stockholm und seinem Auftritt in Wien, fünf Tage,
in denen er seinen Vortrag schreiben wollte, ausformuliert,
denn
die Veranstaltung sollte in einer Publikation zusammengefasst
werden.
„
Sebastian, fahr nach Grado. Grado ist ideal zu dieser Jahreszeit,
wahrscheinlich noch warm genug, um am Balkon zu arbeiten, du
siehst nur Meer und Himmel und die Köpfe der Spaziergänger
auf der Promenade – alte Leute, die machen keinen Lärm.“
Und warum nicht Venedig, hatte er eingewendet, wenn er schon
Stockholm – Venedig flog. Den Aufpreis konnte er dem
Institut unterjubeln. … |
Rezensionen |
SPÄTES DEBÜT, SCHÖNE ENTDECKUNG
Eva Scala mit ihrem Erzählband „Die geheimsten Wünsche“
Manchmal müssen die Dinge reifen. Eva Scala, vitale
Pensionistin, veröffentlichte eben ihr erstes Buch.
Das erinnert ein wenig an die großartige Inge Merkel;
auch sie kam, wie Scala, an die Öffentlichkeit erst
nach ihrer Pensionierung als AHS-Lehrerin. Eva Scala arbeitet
noch als Psychotherapeutin.
Scala erzählt aber anders als Merkel. Es ist, als hätte
ihr Erzählen warten müssen auf die wiederentdeckte
Erzähllust in unseren Zeiten und Breiten bzw. auf die
wiederentdeckten Erzähltugenden der Jungen:
Scala stellt die Wahrnehmung konsequent vor das Wissen,
die Dinge vor ihre Zusammenhänge, den Fall vor seine
Erklärung. Das verleiht dem Geschehen jene Unmittelbarkeit,
die es erzählerisch braucht: um ganz sinnlich erfahrbar
und ganz emotional erlebbar zu werden. Scalas Geschichten
sind prall von konkretem Leben und konkreten Umständen.
In „Die süße Erdbeere“ lernt man die
Figuren nur als Redende, nur aus ihrem Reden kennen, die
Autorin mischt sich sozusagen kaum ein. Das erzeugt beim
Leser die behagliche Illusion, die Figuren selbst kennenlernen
und einschätzen zu können, ohne von der Autorin
dirigiert zu werden. Die Wirklichkeit wird neu, weil sie
nicht erklärt, und wird belangvoll, weil sie nicht in
Verständnismustern abgelegt wird. Das erinnert oft an
Paulus Hochgatterer (der ja ebenfalls sein psychologisches
Fachwissen programmatisch zurückstellt, um die Einzigartigkeit
seiner Figuren vor Kategorisierungen zu schützen).
Dem Mädchen Elie (vor Jahrhunderten) war bei der Geburt
ein Zwillingsbruder am Arm angewachsen (in der Erzählung „Die
Bergpredigt“). Die Babys wurden auseinandergeschnitten,
der Bruder starb dabei. Seitdem lebt Elie mit dem verlorenen
Bruder, hält ihn an der Hand, holt ihm eine Hostie aus
der Kirche. Standhaft verschweigt sie ihn vor aller Welt.
Ihre geplante Verheiratung aber vertreibt den Bruder. Elie
rennt davon, sucht ihn, wird fiebernd gefunden. Ans Krankenbett
setzt sich einmal noch ihr Bruder, verschwindet aber wieder
mit dem Fieber. „Mein Herz schlägt nicht mehr,
ich kann überall hin“, sagt Elie zu ihrer Mutter,
bevor sie stirbt.
Oder: Gunda, wie Elie erst 11 oder 12 Jahre alt, träumt
einen Bienenmann, der zur Gänze bedeckt ist von krabbelnden
Bienen. Das ist kein Albtraum, obwohl der Bienenmann in Verbindung
steht mit einem Pädophilen, den Gunda regelmäßig
besucht. Sie gewinnt Herrschaft über den Bienenmann,
streicht ein paar Bienen von seinem Gesicht, legt Wangen,
Nase frei, seine Lippen sind warm und weich. Sie hält
inne. Der letzte Satz der Erzählung („Der Brennesselpfad“)
lautet: „Der Bienenmann stand unbeirrt auf seinem Platz
und würde dort stehen bleiben, bis sie frisch war und
unternehmungslustig, übermütig vielleicht, und
auf ihn zugehen würde mit frisch gewaschenem Haar.“
Scala nimmt ihre Figuren gerade dadurch ernst, dass sie
deren Wünschen und Vorstellungen weder durch Moral noch
durch Interpretation die Kraft raubt. Sie erzählt die
Realität der Einbildungen bzw. macht durch ihr Erzählen
die Einbildungen zur Realität. Auch dort, wo die äußere
Realität aufgelöst wird zugunsten einer inneren,
bleibt Scala erzählerisch ganz diszipliniert. Das erhöht
nicht nur die Wirkung, sondern bestätigt auch die Gleichwertigkeit
beider Realitäten.
Die „geheimsten Wünsche“: eheliche Mordgelüste;
männlicher Ekel vor Eidechsen und Frauen; die Unbedingtheit
vereinsamter Körper; die dunkle Gegenwelt der Pubertät;
u.a.; der kleine Tonio am Strand hebt das Meer zur Springflut,
legt Häuser in Schutt und Asche, lässt Riesenhunde
durch die Stadt streunen: denn Gassenbuben haben ihm seinen
Ball zerschnitten.
Scala gestaltet all die Ungeheuerlichkeiten, die Absonderlichkeiten
ganz gelassen, ohne narratives Fäusteballen oder Tränenbad;
ihr Erzählen ist dezent und unprätentiös,
ihre Metaphorik sparsam (aber wenn sie Bilder einsetzt, dann
sind sie kühn und treffsicher). Bisweilen legt Scala
Geschichten novellistisch an.
Jedenfalls zu 90 Prozent gelten all die aufgezählten
Vorzüge für Scalas Buch. Und das reicht bei Weitem
für äußerst lohnende Lektüre.
Helmut Gollner, Literatur und Kritik, 423/424, S. 100 f.
Integrative Gestaltpädagogik
Die Autorin, Psychotherapeutin und Trainerin,
lässt Personen und Situationen gegenwärtig werden;
klar strukturierte Hauptsätze erwecken im Leser / in
der Leserin den Eindruck, dass sich das Geschilderte gerade
jetzt
ereignet, dass dieser Mensch dies hier und heute jetzt erlebt.
Der / Die LerserIn wird in die jeweilige Welt eines Menschen
/ eines Paares ... ganz hineingenommen. Der/Die LeserIn muss
sich zwischendurch selbst herausholen, denn die darüberliegende
Folie sind die „geheimsten Wünsche“ (Titel
des Buches). Die Phantasien, Wünsche, Befürchtungen
sind so real, die innere Welt wird zur Wirklichkeit; sie
ist ja auch wirk-lich, sie wirkt innerlich und hat oft auch äußere
Konsequenzen (Krankheit, plötzlich auftretende Allergie,
Fehlhandlung ... bis hin zum Mord). Das Buch ist ein belletristisch
beachtliches Werk v.a. empfehlenswert für BeraterInnen,
PsychotherapeutInnen, TherapeutInnen, aber auch für
jede/n Einzelne/n, um die Innenwelt als echte Realität
wahrzunehmen.
Franz Feiner, Integrative Gestaltpädagogik und
Seelsorge Nr. 48, März 2008
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